Polen im Aufstand

Polen im Aufstand
Polen im Aufstand
 
Der Wiener Kongress bestätigte 1815 die Polnischen Teilungen, sprach Russland aber 82 % des ehemaligen Staatsterritoriums zu. Die mehrheitlich von Polen bewohnten Distrikte wurden als »Königreich Polen« (Kongresspolen) in Personalunion mit dem Zarenreich verbunden und erhielten am 27. November 1815 eine relativ liberale Verfassung, die Regierung und Verwaltung ausschließlich in polnische Hände legte. Zunehmende nationalrevolutionäre Bestrebungen ließen Zar Nikolaus I. bis 1829 zögern, den Eid auf die Verfassung zu leisten.
 
Die Begeisterung unter Studenten und Offizieren über den Erfolg der Pariser Julirevolution 1830 und die belgische Erhebung lösten Aufstandsvorbereitungen aus. Das Gerücht, polnische Truppen sollten zur Niederschlagung der Revolution in Westeuropa eingesetzt werden, war am 29. November Anlass zu einem Angriff auf russische Einrichtungen in Warschau. Ohne klare Konzeption trieben anfangs der »Diktator« Chłopicki, danach eine »Nationalregierung« unter Adam Jerzy Czartoryski die Rüstungen voran, ver handelten aber auch mit dem Zaren.
 
Bei den im Frühjahr 1831 beginnenden Kämpfen zeigten sich die von einer Choleraepidemie heimgesuchten Russen trotzdem überlegen und eroberten am 6./7. September Warschau. Mit der Verhängung des (bis 1856 geltenden) Ausnahmezustands gingen die Kassierung der Verfassung, das Verbot des Sejm, die Auflösung der selbstständigen Armee, die Russifizierung von Verwaltung und Schule sowie die Proklamation des »Organischen Statuts« (26. November 1832) einher; zahl reiche Patrioten wurden nach Sibirien verschickt, 3000 Güter konfisziert, 9000 Repräsentanten in die Emigration gezwungen. Auch im Großherzogtum Posen waren die Polen bis 1839 (»Ära Flottwell«) Repressalien ausgesetzt.
 
Die polnischen Emigranten wurden in Europa mit viel Sympathie aufgenommen. Auf dem Hambacher Fest bei Neustadt an der Weinstraße, auf dem Ende Mai 1832 mehr als 30000 Menschen für einen deutschen Verfassungsstaat demonstrierten, waren auch polnische Abordnungen vertreten. Die Redner forderten Freiheitsrechte für alle Völker. Metternich nahm diese Vorgänge zum Anlass, im Deutschen Bund verschärfte Verfolgungsmaßnahmen durchzusetzen. Preußen und Österreich schlossen sich mit Russland zu einem gegenseitigen Hilfsverpflichtungsvertrag (1833) gegen alle nationalen Bestrebungen zusammen. Die Unterdrückung des polnischen Nationalismus veranlasste die Westmächte, 1834 eine Quadrupelallianz mit Großbritannien, Frankreich, Spanien und Portugal als Mitgliedern zu schließen, ein Gegengewicht gegen die Heilige Allianz des Ostens.
 
Ein Aufstandsversuch im Februar 1846 in Krakau hatte keine politische Wirkung, be dingte jedoch blutige Auseinandersetzungen zwischen landlosen Bauern und Gutsbesitzern. Im Großherzogtum Posen kam es im April 1848 zu offenen Kämpfen zwischen dem Heer und nationalpolnischen Freischärlern, die am 9. Mai in Wreschen kapitulieren mussten. Unter Aberkennung seiner bisherigen Sonderstellung wurde das Großherzogtum als Provinz Posen in den preußischen Staat eingegliedert. Die große Polendebatte in der Frankfurter Paulskirche vom 24.-26. Juli 1848 machte den durch den Aufstand bedingten Sympathieverlust für die Polen deutlich.
 
Die Reformbereitschaft des Zaren Alexander II. (1856-81) brachte für Kongresspolen zwar Erleichterungen, angesichts großer sozialer Spannungen und in der Hoffnung auf französische Unterstützung kam es jedoch am 22. Januar 1863 zu einem neuen Aufstand. Er misslang wegen des Fehlens von Waffen und des Versagens der militärischen Führung. Polen wurde bis März 1864 gewaltsam befriedet und danach mit harten Maßnahmen überzogen. Kongresspolen wurde danach als »Weichselgouvernement« gezielt russifiziert und ganz dem Zarenreich eingegliedert.

Universal-Lexikon. 2012.

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